ISBN 3-936049-57-2
ISBN 978-3-936049-57-2
320 Seiten
17 €

 

 

Marijana Gršak, Ulrike Reimann und Kathrin Franke (Hrsg.)
Frauen und Frauenorganisationen im Widerstand
in Kroatien, Bosnien und Serbien

Im November 1945 wurde die Föderative Volksrepublik Jugoslawien ausgerufen. Fünfzig Jahre später, fast auf den Tag genau, besiegelten nach mehr als vier Kriegsjahren die Kriegsparteien unter dem Druck der USA mit dem Friedensvertrag von Dayton die Desintegration Jugoslawiens.
Im Vordergrund dieser Ereignisse standen und stehen Männer: Als Kriegstreiber und -verbrecher, Helden, Eroberer, Präsidenten und diplomatische Vermittler.
Der vorliegende Band stellt Frauen als Akteurinnen der Geschichte in den Mittelpunkt. Als engagierte Aktivistinnen politischer Frauenorganisationen widersetzen sie sich den ihnen von der Gesellschaft zugewiesenen Rollen als bedauernswerte Opfer, Leidtragende und Vergewaltigte. Sie kämpfen für die Rechte und Freiheiten von Frauen und leisten zugleich Widerstand gegen Krieg und Nationalismus und wirken mit am Aufbau einer demokratischen Zivilgesellschaft.
Serbien, Bosnien und Kroatien sind nicht nur Krisengebiete, sondern auch Orte, an denen sich Frauen solidarisieren und sich einem menschenverachtenden System couragiert und beharrlich entgegenstellen. Die ausgewählten Texte eröffnen vielfältige Zugänge zum Thema Widerstand von Frauen und regen dazu an, stereotype Bilder vom Balkan kritisch zu hinterfragen.

"Besonders gefreut haben wir uns auch über ein druckfrisches Buch aus dem Licher Verlag Edition AV: 'Frauen und Frauenorganisationen im Widerstand in Kroatien, Bosnien und Serbien'. Das von Gršak, Marijana, Ulrike Reimann und Kathrin Franke herausgegebene Werk enthält u.a. einen langen, wissenschaftlichen Artikel des Soziologen Torsten Bewernitz über 'Geschlechterbilder in den deutschen Medien. Das Beispiel des Kosovo-Konflikts'.
Intention seiner Studie ist die „Darstellung dessen, wie deutschsprachige Medien Frauen in einem konkreten Kriegsfall – dem Kosovokonflikt – beschreiben“. Die von ihm verwandte Methode orientiert sich an der „Kritischen Diskursanalyse“ des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS). Ausgiebig analysiert hat er die junge Welt, die Jungle World, die Emma, sowie die Graswurzelrevolution. Wer sich diese Analysen zu Gemüte zieht, kann eigentlich nur zu dem Schluss kommen, dass die GWR auch im Vergleich mit den anderen untersuchten „Alternativzeitungen“ besonders gut abschneidet. So stellt Bewernitz z.B. fest:
'Abgesehen von einem Leserbrief in der WAZ ist die Graswurzelrevolution die einzige Zeitung, die antimilitaristische Fraueninitiativen aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens benennt und selber zu Wort kommen lässt'.“
Bernd Drücke (graswurzelrevolution-Koordinationsredakteur)

Rezension

Rahel: "Gelebte Solidarität" in: graswurzelrevolution 324 - Dezember 2007

Es waren und sind vor allem Frauen, die im ehemaligen Jugoslawien seit den 1990ern öffentlichkeitswirksam Widerstand leisten, die konkrete Unterstützung für Betroffene der Kriege aufbauen, die gegen Nationalismus und Krieg ihre Stimme erheben.
Ein Ausschnitt des Widerstandes mehrerer Gruppen ist in dem Sammelband „Frauen und Frauenorganisationen im Widerstand in Kroatien, Bosnien und Serbien“ dokumentiert.
Das Buch ist mehr als eine Dokumentation, es ist eine Würdigung des langjährigen Engagements dieser Frauen, und es ist das gelungene Projekt einer Studiengruppe: Die Frauen und Männer begaben sich vor Ort, um einzelne Frauen des Widerstandes entweder selbst zu Wort kommen zu lassen oder ihre Arbeit vorzustellen.
Den Hauptteil des Buches bildet m.E. der 2. Teil, so dass ich empfehle, die Lektüre dieses Sammelbandes auch damit zu beginnen. Er beleuchtet von vielen Autorinnen zusammengetragene „Aspekte des Widerstandes“ anhand praktischer Beispiele aus den einzelnen Republiken. Er gewährt Menschen mit oder ohne Bezug zu Ex-Jugoslawien einen Einblick in die Vielfalt der Arbeit.
Es wird über konkrete politische Demonstration, über die Hilfe von traumatisierten Überlebenden, über Erinnerungspolitik, über das Engagement von Lesben und über neue Netzwerke für ein solidarisches Arbeiten berichtet. Einige der Beiträge, wie der von Lepa Mladenovic, sind biographisch oder persönlich formuliert, in anderen begleitet die LeserIn quasi die AutorIn auf ihrer Studienreise und nimmt teil an deren Auswertungen und Eindrücken.
Dieser Teil des Buches schafft es, sowohl einen Prozess des Engagements von Anfang der Kriege bis hin in die Nach-Milosevic-Ära zu zeichnen, als auch den Widerstand der einzelnen Gruppen in ihrer politischen Zielsetzung und hinsichtlich der gesellschaftlichen Wirkung zu beleuchten.
Insgesamt liegt der Schwerpunkt leider zu sehr auf Serbien, speziell auf Belgrad, ohne dass begründet wäre, woran das liegt. Insbesondere wäre die in diesem Buchprojekt sehr wichtige Thematisierung der Trauma-Arbeit besser an einem Frauenprojekt in Bosnien-Herzegowina vorgestellt worden, z.B. von Medica mondiale e.V., in dem viele einheimische Fachkräfte qualifiziert wurden und das einen explizit feministischen Anspruch erhebt.
Gewalt gegen Frauen als kriegs- und nationalistisches Instrument wird durch den hier gewählten Fokus zu wenig angesprochen. Den Projektaufbau von Ursula Renner für kriegstraumatisierte Männer schätze ich deswegen nicht geringer; gerade wegen der Wirkungen von nicht behandelten Kriegstraumata auf familiäre und gesellschaftliche gewalttätige Prozesse.
An mehreren Stellen, z.B. nach der Analyse des Widerstandes von Frauen anhand der Mütterbewegung 1991 und der autonomen „Frauen in Schwarz“, stellte ich mir Fragen nach meiner eigenen politischen Praxis und seiner möglichen Instrumentalisierung. Dann wird besonders deutlich, dass das Ziel der AutorInnen, die Frauen als Akteurinnen vorzustellen, erreicht wird.
Der 1. Teil des Buches gibt einen Überblick über die Geschichte der Frauenbewegung im Jugoslawien unter Tito, ihr Selbstverständnis im kommunistischen System sowie die Entstehung einer autonomen Frauenbewegung in Jugoslawien. Es wird eine historische Rahmung für den Widerstand von Frauen gegen Krieg und Nationalismus in den 90ern gegeben, für ihre Autonomie und ihre Wirksamkeit.
Den Übergang dazu bildet die Darstellung des serbischen Nationalismus als Männlichkeitsvergewisserung von Marina Blagojevic.
Im 2. Weltkrieg stand die Antifaschistische Frauenfront für die Gleichberechtigung, die gleichzeitig Bestandteil der Volksbefreiungsbewegung war und daher ihre Ziele denen des antifaschistischen Kampfes unterordnete. Folglich ging die proletarische Frauenbewegung davon aus, dass ein sozialistisches Jugoslawien automatisch zur Gleichberechtigung führen würde. Emanzipation wurde als klassenfeindlich verstanden und stand dem Bild von der Frau als Kämpferin für „Arbeiterrechte, soziale Gerechtigkeit“ entgegen. Gleichzeitig kam es im Nachkriegsjugoslawien zur verfassungsrechtlichen Gleichstellung. Diese top-down verfügte Gleichstellung hatte, ohne dass damit die patriarchalischen Strukturen der Agrargesellschaft aufgehoben wären, zur Folge, dass Feministinnen vorgeworfen wurde, gegen Errungenschaften Politik zu betreiben, und es führte dazu, dass nur wenige Frauen – und dies v.a. in den Städten – in einer neuen Frauenbewegung aktiv wurden.
Viele der Frauen, die in den 90ern zu den Gründerinnen der Anti-Kriegs/ Anti-Nationalismusbewegung gehörten, nahmen bereits 1978 an dem ersten internationalen autonomen feministischen Treffen „Drug za zena“ teil, von dessen Vernetzung und Diskurs die Frauen noch 20 Jahre später profitierten, wie ich es selbst in Gesprächen mehrfach erfuhr. Es fehlt die Darstellung, dass auch autonome Frauenprojekte in den 90ern mit nationalistisch geprägten Schwierigkeiten in ihrer Vernetzungsarbeit konfrontiert waren.
Beachtenswert finde ich, dass und wie sich die Autorinnen trotz des Übersichtcharakters in persönlichen Schlussfolgerungen positionieren.
Das Buch erweitert im letzten Teil den Blick des Widerstandes, in dem es danach fragt, wie außerhalb Jugoslawiens die Kriege auf dem Balkan dargestellt wurden und darauf reagiert wurde. Die LeserIn bleibt also nicht BetrachterIn, sondern wird auch selbst als AkteurIn angesprochen. Im Beitrag, wie Geschlechterbilder in deutschen Print-Medien transportiert worden sind, wurden u.a Alternativmedien mittels der Diskursanalyse untersucht.
Torsten Bewernitz kommt für die Graswurzelrevolution zum Ergebnis, dass sie es insbeson¬dere dadurch, dass sie antimilitaristische Frauenorganisationen aus Jugoslawien selbst zu Wort kommen ließ, vermied, Klischees von Geschlechterbildern zu produzieren.
Der Sammelband ist ein wertvolles Projekt, Solidarität mit den Frauen in Kroatien, Bosnien und Serbien zu zeigen.
Dabei ist es den AutorInnen gelungen, selbst auch AkteurInnen zu sein, sich selbst mit ihren Positionen, ihren Zweifeln und Hoffnungen einzubringen.

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