ISBN 978-3-86841-197-3
175 Seiten
16 €

 

Sulamith Sparre
"Fremde der Heimat"
Sprachzertrümmerung und Welterschaffung in der Dichtung Paul Celans und Tuvia Rübners

„Zwölf Jahre – das ist alles. / Zwölf Jahre. / Nicht mehr als zwölf Jahre. / In zwölf Jahren wurde die Welt umgestülpt. / Tausend Jahre, zehntausend Jahre wurden ausgelöscht. / Die Zeiten wurden ausgelöscht. / In zwölf Jahren wurden Zeit und Raum ausgelöscht. / Ausgelöscht wurde der Zeitraum zwischen vor / dem Menschen und nach dem Menschsein. / In zwölf Jahren verkoppelten sich / Vor und Nach und Gehirn / ein planendes, berechnendes, skizzierendes / betrügerisches, organisierendes Hirn / Tod organisierendes auf dem Förderband wie / in den legendären Schlachthäusern Chicagos“, beginnt ein Gedicht Tuvia Rübners.

Die Shoah (Celan: „das, was geschah“) bedeutet eine Auflösung aller vertraut geglaubten Sinnbezüge, aller bisherigen Menschenbezüge; Jean Améry spricht vom Verlust des Weltvertrauens.

Der Zerfall des Humanen bedeutet z. B. für Paul Celan und Tuvia Rübner (beide Überlebende der Shoah), daß ihre Sprache aus einer gleichsam jenseitigen Kraft gespeist wird: der Kraft des Überlebt Habens. Hinter ihrer Dichtung ist für den, der sich darauf einläßt, der Widerhall einer anderen Sprache vernehmbar: der Sprache der Verstörung und der Zerstörung, des Verlustes. Die Dichtung wird zur Fremdsprache (Fremdsein und Heimatlosigkeit sind zentrale Themen der Dichtung Celans und Rübners), die unbekanntes Terrain auslotet und durch ihre harten Ränder, ihre eruptiven Brüche, ihre Widersprüchlichkeit, durch ihren „Riß“ (der den Riß in der deutschen Geschichte sichtbar macht), durch das Zerbrechen vertrauter Sinnbezüge, durch ihr „Stottern“, durch den „lautlosen Schrei, der gefror“, Zeugnis geben kann von den Verwerfungen des 20. Jahrhunderts - und uns sehen lehrt.

 

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