ISBN 3-936049-84-8
282 Seiten
17 €

 

Helge Döhring
Damit in Bayern Frühling werde!
Die syndikalistische Arbeiterbewegung in Südbayern von 1914 bis 1933


Bereits vor dem Ersten Weltkrieg war die aus der Sozialdemokratie hervorgegangene revolutionäre syndikalistische Arbeiterbewegung in einigen Betrieben Münchens fest verankert. Wie sie die Kriegszeit überstand, was sie mit der Revolution und der Räterepublik zu tun hatte, und wie sie sich in der Weimarer Zeit in Südbayern ausbreitete, ist Gegenstand dieses Buches.
Wer waren diese syndikalistischen Arbeiter und was bewirkten sie?
Anhand vielerlei Quellenmaterials führen die Spuren von München ausgehend in die alte Reichsstadt Augsburg, nach Dachau, Tagmersheim, Pappenheim, Rögling, Erding, Moosburg bis an den Chiemsee nach Trostberg. Ihre gewerkschaftlichen Aktivitäten werden hier genauso beleuchtet, wie das Engagement der Anarcho-Syndikalisten im Kulturbereich. Sie hatten vornehmlich Einfluss auf dem Gebiet der Sexualaufklärung, in der Freidenkerbewegung und in der Arbeitersängerbewegung. Dazu kamen Frauen- und Jugendorganisationen. Ihr größtes öffentlich-kulturelles Werk vollbrachten die Syndikalisten zu Ehren Gustav Landauers, welchem sie im Münchner Waldfriedhof ein Denkmal errichteten.

Rezension

Egon Günther: "Damit in Bayern Frühling werde!" erschienen in Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit (AGWA), Nr. 18, Fernwald 2008 mehr
M. Neagoie: "Damit in Bayern Frühling werde!" erschienen auf www.syndikalismusforschung.info mehr ...
Hans Jürgen Degen: "Syndikalismus in Bayern", erschien in contraste mehr ...
Heiko Grau-Maiwald: "Damit in Bayern Frühling werde! Ein Buch über die anarcho-syndikalistische Bewegung in Südbayern"; erschienen in graswurzelrevolution 325 - Januar 2008 mehr ...

Egon Günther: Damit in Bayern Frühling werde
„(…) Helge Döhring unternimmt den Versuch, die von ihm konstatierte Schieflage auszugleichen, die darin besteht, dass bislang in Publizität und Forschung den prominenten Ideenträgern des reinen Anarchismus wie Gustav Landauer und Erich Mühsam und ihrem Wirken in Bayern mehr Stellenwert zukam als denjenigen, die deren freiheitliche Ideen und föderalistischen Vorschläge in den Betrieben und im Aufbau von Arbeiterbörsen vertreten haben. Sein Material fand er, unterstützt von den Mitgliedern des „Allgemeinen Münchner Syndikats der Erwerbslosen und Lohnabhängigen“ (A.M.S.E.L.) und der Münchner „Freien Arbeiterunion“ (FAU), den heutigen Nachfolgern der damaligen Lokalisten und Syndikalisten, bei der Durchsicht von Archivbeständen in Augsburg, Dachau, Moosburg, Erding, Trostberg und München, sowie in Kongreßprotokollen und Drucksachen der syndikalistischen Arbeiterbewegung. Helge Döhring ist selbst in dieser Bewegung aktiv, deshalb ist sein Buch parteiisch und gibt nicht vor, Forschung und Bewegung trennen zu wollen, wie es die Verfechter akademischer wissenschaftlicher Standards einfordern, die von einem scheinbar objektiven Erkenntnisinteresse ausgehen. Bereits Ulrich Linse hatte festgestellt, dass der Münchner Arbeiteranarchismus nicht politisch, sondern primär gewerkschaftlich eingestellt war, und er sah darin einen Grund, warum die Syndikalisten bei der Novemberrevolution und in den Geschehnissen der bairischen Räterepublik angeblich kaum eine Rolle gespielt haben. Dennoch wurden bei der blutigen Repression der kommunistischen Räterepublik im Mai auch Mitglieder der „Syndikalistischen Arbeiterföderation“ (SAF) von den Nosketruppen ermordet, und die Münchner Arbeiterbörse führte Sammlungen zur Solidarität mit den verhafteten Räteanhängern und den Opfern der Märzkämpfe im Ruhrgebiet durch. Die vorliegende Regionalstudie geht dem nach und beschreibt die Organisationsstruktur dieser freiheitlichen Strömung der Arbeiterbewegung, die ihren Zusammenhalt in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg gegen die zentralistischen Organisationsformen zwar anfangs behaupten konnte, aber in den letzten Jahren der Weimarer Republik dahin geschmolzen ist. Zudem wird auf die außerbetrieblichen und kulturellen Aktivitäten der südbayerischen Syndikalisten, die sich zum großen Teil in der anarchosyndikalistischen FAUD organisiert hatten, anhand erhaltener Nachweise über ihre durchgeführten Veranstaltungen eingegangen: Freidenkertum, syndikalistische Jugend- und Frauenbünde, Freie Sänger usf. werden angesprochen. Einen besonderen Platz nimmt das Porträt des Schreiners und Anarchisten Benno Scharmanski ein, der in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg der „Föderation Freiheitlicher Sozialisten (FFS)“ angehörte und noch bis in die neunziger Jahre hinein jüngeren Genossen mit Rat und Tat zur Seite stand. Auch der Sekretär der „Internationalen Arbeiter Assoziation“ und Theoretiker des Anarchosyndikalismus, Helmut Rüdiger, wird eigens vorgestellt. Seine „Karriere“ begann in München als Delegierter der Ortsvereine Dachau, München und Trostberg für den 16. FAUD-Kongreß. Zusammenfassende Überlegungen, warum die „originäre proletarische Klassenbewegung“ der Syndikalisten mitunter auch in ländlichen Regionen bei der neu geformten Industriearbeiterschaft, beispielsweise den Chemiearbeitern in Trostberg oder den Arbeitern im Solnhofener Steinbruch, gegenüber den zentralistischen Verbänden punkten konnte, und worin die eigentliche Stärke des Syndikalismus besteht, beschließen den mit einem materialreichen Anhang versehenen Band, zu dem Günther Gerstenberg ein fulminantes Nachwort beigesteuert hat. Beiläufig formuliert es interessante durch das Buch aufgeworfene Fragen nach der Konjunktur des Anarchosyndikalismus, deren Beantwortung vielleicht das Warten auf den Frühling ein wenig kurzweiliger macht: Warum wurde die anarchosyndikalistische Bewegung in Bayern – und wohl auch im übrigen Deutschland – trotz aller Verve, Begeisterung und trotz der vielen Anstrengungen und Opfer ab Mitte der zwanziger Jahre dennoch zu einer Marginalie? Und wo stehen die heute an einer freiheitlich orientierten Bewegung zur Aufhebung der Lohnarbeit Interessierten in einer seither durch und durch umgebildeten Arbeitswelt, in der, die Positionen der Aufklärung vereinnahmend, der Kapitalismus auf Subjekte setzt, die zwar selbständig und flexibel handeln, sich aber dabei mit den Verhältnissen im Einklang befinden sollen?

Hans Jürgen Degen: "Syndikalismus in Bayern"!
Der selbstorganisierten Arbeiterbewegung in Deutschland hat die Geschichtsschreibung wenig Raum eingeräumt. So ist es auch der syndikalistischen Bewegung ergangen. Helge Döhring hat mit einigen regionalgeschichtlichen Studien zu dieser Variante der Arbeiterbewegung wertvolle Beiträge geliefert. Er hat diese selbstbestimmte Gewerkschaftsbewegung aus der Vergessenheit gezogen. So auch mit der vorliegenden (bisher) letzten Studie über den Syndikalismus in Südbayern.
Gegen die Geschichtslosigkeit, gegen den Mythos, dass »Einzelne« nichts gegen die herrschenden Verhältnisse bewirken können, stand die marginale anarcho-syndikalistische »Freie Arbeiter-Union Deutschlands« (FAUD). »Einzelne« deshalb, wie Döhring auch aufzeigt, weil sich diese, die vielen »Einzelnen«, in dieser Bewegung mit ihren individuellen Anliegen einbringen konnten. Das trotz des auch hier unvermeidlichen »natürlichen« Oligarchisierungsprozesses. Dies hauptsächlich deshalb, weil die libertäre Bewusstseinshaltung der Mitglieder geradezu (nicht nur in ihren Organisationsstatuten) den »Pluralismus« verinnerlicht hatte. Ausdruck davon war u.a. die Vielfalt der Unter- und Nebenorganisationen der FAUD, die buchstäblich versuchten, ihre Autonomie zu behaupten und zu leben. In einer »Massenorganisation« ist das schlicht unmöglich. Stellt sich die Frage: Ist es das Schicksal, eine »elitäre« Minderheitsbewegung zu bleiben? Döhring beantwortet diese Grundsatzfrage nicht, weil seine Arbeit historisch angelegt ist. Aber mit seiner Detailversessenheit belegt er überzeugend Ausmaß und Beschränkung des historischen Anarchosyndikalismus in der Metropole Bayerns und in der südbayerischen Provinz.
Der organisatorische Versuch, eine »andere« Arbeiterbewegung den parteipolitisch ausgerichteten (von SPD und KPD dominierten) und den »gelben« Gewerkschaften entgegenzusetzen, trat in verschiedenen Formen auf: der »reinen« Gewerkschaft FAUD, dem »Syndikalistischen Frauenbund«, der »Syndikalistisch-Anarchistischen Jugend Deutschlands«; auf »kulturellem Gebiet: die »Freien Sänger«, »Verein für Sexualhygiene und Lebensreform«, »Gemeinschaft proletarischer Freidenker« u.a.m.; ferner: Mitarbeit und starke Einflussnahme in anderen politischen und kulturellen linken Organisationen.
Der nachhaltige Einfluss des Anarchosyndikalismus konnte von Döhring selbstredend nicht nachvollzogen werden. Mit Verbot und Verfolgung 1933 durch das Naziregime ist dieses Experiment einer antistaatlichen Basisgewerkschaft beseitigt worden; ein originäres kulturproletarisches Milieu wurde unwiederbringlich zerstört. Die massive Verfolgung, die Zuchthäuser, Konzentrationslager und auch der hohe Blutzoll der anarchosyndikalistischen Bewegung, ließ u.a. nach 1945 den Anarchosyndikalismus nicht mehr in seiner traditionellen Form als eigenständige Gewerkschaft erstehen.
Döhring legt eine Organisationsstudie vor. Sie zeigt die organisatorischen Verästelungen auf, die einer nichtdogmatischen »Bewegung« selbstverständlich sein. Daraus ergibt sich für den Historiker allerdings, die Schwierigkeit, diesen Verästelungen nachzugehen. Döhring hat dies - trotz prekärer Quellenlage - souverän und akribisch geleistet: Er kann die organisatorischen und personellen Verflechtungen innerorganisatorisch, auf kulturellem Gebiet und darüber hinaus mit der undogmatischen Linken aufzeigen und belegen.
Es ist die Absicht Döhrings, die weitgehend autonom handelnden Individuen in und durch ihre Gewerkschaft, vorzuführen: zu zeigen, dass auch »Massenorganisationen von der Basis her bestimmt werden können. Mit seiner historischen Studie ist ihm das gelungen.

Heiko Grau-Maiwald: "Damit in Bayern Frühling werde!
Viele Bücher sind über die Intellektuellen, über die Bohemiens geschrieben worden.
Denkwürdigerweise wurden diejenigen, welche in den Betrieben für die Ideen Erich Mühsams oder Gustav Landauers eintraten, einfach vergessen.
Bayern, von dem hier die Rede ist, bildete dabei keine Ausnahme. Was ist dran an der Annahme, dass sich auch in dieser Region Teile der Arbeiterbewegung nicht nur hinter Bürokratie und Wahlurne scharten?
Und: Sollte es tatsächlich ArbeiterInnen gegeben haben, die Freiheit und Kommunismus nicht mit den scheinradikalen Phrasen verwechselten, die unter dem Banner von Hammer und Sichel verbreitet wurden?

Gewerkschafts- und Kulturorganisation
Der Historiker Helge Döhring ist dieser Frage nachgegangen. Und das Ergebnis lässt sich sehen. Fundiert und kenntnisreich stellt der Autor in seinem neuen Buch „Damit in Bayern Frühling werde!“ die anarcho-syndikalistische Arbeiterbewegung in Südbayern vor. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) hat hier ihre Spuren nicht nur in Städten wie München oder Augsburg hinterlassen, sondern auch in kleineren Städten und Dörfern.
Dabei entfaltete sie auf betrieblicher Ebene, aber noch mehr im kulturellen Bereich rege Aktivitäten, auf die der Autor in besonderer Weise eingeht. V.a. Sexualaufklärungs-, Freidenker- und Sängerbewegung sind hier zu nennen.
Eher mit einem Augenzwinkern reißt Helge Döhring kurz das Engagement der GenossInnen in der Abstinenzlerbewegung an. Viel Energie verwendete die FAUD in Südbayern auf die Errichtung eines Denkmals zu Ehren Gustav Landauers auf dem Münchner Waldfriedhof. 1933 wurde es von den Nazis zerstört.
Staatliche Behörden versuchten über all die Jahre, die Aktivitäten der Gewerkschaft einzuschränken oder mittels Verboten zu unterbinden. Auch in den Betrieben der Region hatten die GewerkschafterInnen keinen leichten Stand: So sahen sie sich in Südbayern nicht nur mit Angriffen seitens der Arbeitgeber konfrontiert. Widersacher fanden sie mancherorts auch in den eigenen Kollegen, die zentralistischen Gewerkschaftsorganisationen angehörten.
Zuweilen mündete der Zwist in Forderungen an den Arbeitgeber, anarcho-syndikalistischen AktivistInnen zu kündigen.
Nötigenfalls wurde dies per Streik erzwungen.

Strittig
Interessant sind die reichsweiten Mitgliederzahlen, die der Autor, gestützt auf Auswertungen umfangreichen Quellenmaterials, erstmals jahrgangsweise für die FAUD und Syndikalistisch-Anarchistische Jugend Deutschlands (SAJD) vorzulegen vermag.
Allerdings ist in der Bewertung derselben Skepsis angebracht. Dass hier die Meinungen der Fachwelt der letzten 30 Jahre weit auseinander gehen, erwähnt Döhring bereits in seiner Einleitung.
Nichtsdestotrotz hat die anarcho-syndikalistische Bewegung selbst Angaben über ihre Mitgliederstärke hinterlassen, die der Autor nicht berücksichtigt hat. Kommen seine Zahlen für 1924 (IAA: 30.000, Döhring: 28.000) und 1926 (IAA: 22.000, Döhring: 21.000) noch denen sehr nahe, die zeitgenössische Publizität fanden, listet der Autor für 1928 gänzlich andere auf.
Unter Bezugnahme auf einen Polizeibericht von 1927, demnach der später bedeutende Anarcho-Syndikalist Helmut Rüdiger auf dem 16. FAUD-Kongress nur von 12.000 Mitgliedern gesprochen haben soll, die Döhring in seiner Auflistung übernimmt, spricht sich der Historiker explizit gegen die jahrelang von anderen Forschern behauptete Mitgliederstärke von 20.000 aus.
Im Folgejahr sollen es nur noch 10.000 gewesen sein, wohingegen die IAA 20.000 angibt (1).
Ein Fehler ist dem Autor im Kapitel über das Verhältnis der FAUD zur Antirepressionsorganisation Rote Hilfe (RHD) unterlaufen: Die Internationale Arbeiterhilfe (IAH) war nicht die Dachorganisation der internationalen Rote-Hilfe-Organisationen, sondern eine eigenständige, ebenfalls KPD-nahe proletarische Hilfsorganisation (2).

Würdigung
Ein besonderes Schmankerl ist Döhring mit der Zusammenstellung des Anhangs geglückt, der eine Reihe von Personenpor¬träts und Quellentexten für interessierte LeserInnen bereithält.
Gustav Landauer erfährt hier besondere Würdigung.
Bekannte, aber auch leider in Vergessenheit geratene Protagonisten der anarcho-syndikalistischen Bewegung kommen dabei nicht nur zu Wort, sondern werden auch kurz selbst vorgestellt. Darunter: Fritz Oerter, gewaltfreier Anarcho-Syndikalist, der einen nicht unerheblichen Einfluss in der damaligen Bewegung hatte.
Das Buch besticht zudem durch eine Vielzahl von Abbildungen, v.a. aber durch Döhrings flüssigen Schreibstil, der dafür sorgt, dass man es erst am Ende wieder aus der Hand legen will.
Fazit: Nach seinen regionalgeschichtlichen Veröffentlichungen zu Ostpreußen (FAU Bremen, 2006) und Württemberg (Verlag Edition AV, 2006) ist es dem Autor gelungen, einen weiteren weißen Flecken von der Landkarte zu tilgen und die eigene Geschichte für die heutige anarchosyndikalistische Bewegung zu erschließen.

Anmerkungen
(1) H. Döhring: Damit in Bayern Frühling werde!, S. 179 (Fußnote 14) und S. 201ff. Vgl. dazu die Angaben des damaligen IAA-Sekretärs in: Lewis L. Lorwin, Die Internationale der Arbeit. Geschichte und Ausblick. Deutsche Ausgabe von Labour and Internationalism. Verlag des Institute of Economics Washington D.C., Berlin 1930, S. 227. IAA: Internationale Arbeiter Assoziation, anarchosyndikalistische Internationale, in der die FAUD Mitglied war.
(2) Döhring, S. 127. Dachorganisation der RH-Organisationen war in Wirklichkeit die Internationale Rote Hilfe (IRH; russisch: MOPR). Die IAH wurde 1921 auf Initiative von Willi Münzenberg, des späteren Medienmoguls der KPD, als internationale proletarische Hilfsorganisation gegründet. Ab 1924 wurde sie zur festen zentralisierten Mitgliederorganisation aufgebaut. Ihre Hauptaufgaben bestanden darin, bei Streiks durch Geldsammlungen, Einrichtung von Küchen, Erholungsaufenthalte für Arbeiterkinder u.ä. solidarische Hilfe zu leisten. Durch Spendensammlungen konnten den in Not geratenen ArbeiterInnen in solchen Fällen Kleidung, Lebensmittel und Geld zur Verfügung gestellt werden. Die IAH unterhielt ferner eine rege filmische Propaganda




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