Vorwort zu
„Weh der Lüge! Sie befreiet nicht ...“
Es gibt Menschen, deren Schicksal es zu sein scheint, mit ihren Sponsoren, Arbeitgebern, Mitarbeitern und bürokratischen Vorgesetzten in Konflikt zu geraten. Obwohl solche Leute, fast ohne Ausnahme, lieber ein geruhsames Leben führen möchten, geraten sie immer wieder in den Sog der Dinge. Sie sind nämlich außerstande, ihre Prinzipien beiseite zu schieben. Es gelingt ihnen nicht, angesichts unerträglicher Zustände wegzuschauen. Auch fällt es ihnen schwer, den von Ungerechtigkeit Getroffenen den Rücken zu kehren.
Der Verfasser dieses Buches ist solch ein Mensch. Seit Jahren steht Fred Kautz nun schon mit prominenten Lehrstuhlinhabern an Geschichtsinstituten deutscher Universitäten auf Kriegsfuß. In der Regel erkennen Doktoranden, dass sie am kürzeren Hebel sind. Daher lassen sie zumindest bis zum Abschluss der Promotion alle Meinungsverschiedenheiten, die zwischen ihnen und ihren akademischen Vätern auftreten mögen, ungelöst ruhen. Nicht so Kautz: Als er im akademischen Austausch nach Deutschland zurückkehrte, beschlich ihn sehr bald das ungute Gefühl, innerhalb der Zunft hierzulande gäbe es eine unausgesprochene Übereinkunft, sich die Nazi-Vergangenheit vom Leibe zu halten, so zu schreiben, als seien die Nazi-Untaten nicht erst gestern geschehen und belasteten noch die Gegenwart, sondern so, als habe es vor langer, langer Zeit eine verschwommene Figur namens Hitler gegeben. Unter den Fachgrößen sagten einige, dieser Hitler sei ein „schwacher Diktator“ gewesen, die anderen hingegen, er habe das unschuldige deutsche Volk mit dämonischer Kraft unter der Fuchtel gehalten. In diesen fruchtlosen Debatten wollte Kautz nicht mitplappern, konnte aber auch nicht still sein.
Der Preis, den er dafür zahlen musste, war nicht gering. Er war so hoch, dass er ihn sich eigentlich gar nicht hätte leisten können. Statt Anstellung an einer Universität erwartete ihn von der Wissenschaftsstadt Darmstadt gönnerhaft angebotene „Arbeit statt Sozialhilfe“. In der ihm zugewiesenen wissenschaftlichen Tätigkeit brachte ihm die Stadt nicht die Hochachtung entgegen, die einem Historiker gebührt. Vielmehr speiste sie ihn mit einem Hungerlohn ab, den sie in der Regel nur quasi zwangsrekrutierten Arbeitskräften zumutet, die in städtischen Grünflächen Laub rechen und Unkraut jäten.
Dieses Buch zeigt, dass Kautz nichts dazu gelernt hat. Anstatt in den allgemeinen Jubel über das neue Stadtlexikon Darmstadt mit einzustimmen, schrieb er eine scharfe Kritik, worin er den Herausgebern vorwirft, die Nazi-Vergangenheit vor Ort schönzureden.
Kautz’ Prinzipientreue ist lobenswert. Unter Akademikern findet man sie heutzutage nur noch sehr selten. Gerade deshalb schätze ich seine Arbeit und grüße ihn.
Sol Littman
Visting Scholar
Judaic Studies Center
University of Arizona
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